Ob Personal an Flughäfen oder bei der Deutschen Bahn: Seit Jahren schon fordern Politiker von CDU/CSU eine Einschränkung des Streikrechts für Beschäftigte in der kritischen Infrastruktur. Vor allem die Bundesvorsitzende der Mittelstands- und Wirtschaftsunion (MIT) Gitta Connemann (CDU) erneuert bei jedem Streik im Verkehrsbereich fast schon mantramäßig ihre Forderung nach einem Streikgesetz.
Um die "besondere Belastung für Dritte sowie die hohen Kosten für die deutsche Wirtschaft" so gering wie möglich zu halten, brauche es "primär für die sensiblen Bereiche der kritischen Infrastruktur" klare Regeln, sagt die Rechtsanwältin, die seit 2002 im Bundestag sitzt. "Es geht uns insbesondere um die Bereiche, in denen Streiks vor allem unbeteiligte Dritte treffen. Das sind z. B. Flug-, Bahn- und Schiffsverkehr, aber auch die Energie- und Wasserversorgung, Rettungsdienste, Krankenhäuser und Pflegedienste."
Im Interview mit dem Deutschlandfunk erneuerte Connemann am Dienstag ihre Vorstellung, dass es in diesen Branchen vor einem Streik zunächst ein verpflichtendes Schlichtungsverfahren durchgeführt werden müsse. Erst wenn das nicht erfolgreich sei, dürfe gestreikt werden – mit einer viertägigen Ankündigungsfrist und Notfalldiensten. Die MIT hatte im November 2023 hierzu einen entsprechenden Beschluss gefasst. Arbeitsgerichte zu arbeitnehmerfreundlich?
Juristin Connemann verweist darauf, dass das das Streikrecht in Deutschland ein reines Richterrecht sei und es insofern eine gesetzgeberische Lücke gebe. Zudem sind ihr die Entscheidungen der Arbeitsgerichte politisch nicht genehm, weil zu arbeitnehmerfreundlich: "Seit Einführung des Grundgesetzes hat die Rechtsprechung das Streikrecht stetig zu Gunsten der Arbeitnehmerseite weiterentwickelt", sagt sie. Jedenfalls könne der Eindruck entstehen, dass manche Entscheidungen wegen hoher Eilbedürftigkeit mit heißer Nadel gestrickt würden. "Nur selten erhält das Bundesarbeitsgericht die Möglichkeit, grundlegende Leitlinien zu entwickeln. Für zeitgemäße und vor allem klare Spielregeln braucht es daher den Gesetzgeber”, so die Christdemokratin.
In der CDU/CSU-Fraktion dürfte der Vorschlag für ein Streikgesetz wohl unproblematisch eine Mehrheit finden. Mit Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz ist sich Connemann nach eigenen Worten einig, "dass das Streikrecht zwar ein hohes Gut und vom Grundgesetz geschützt" sei, aber eben – "wie jedes andere Grundrecht auch" – Grenzen unterliege. Aus Kreisen der Mittelstandsunion heißt es, dass hierzu bald auch mit einer Bundestagsinitiative zu rechnen sei.
Connemanns Hoffnung ist es wohl auch, dass der Unmut der Menschen über das Agieren der GDL dazu führt, dass auch andere Parteien einem Streikgesetz etwas abgewinnen können. Auch die vielleicht, die es bislang eher mit Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaftsinteressen hielten.
So wie die SPD: Deren verkehrspolitische Sprecherin im Bundestag, Isabel Cademartori, bezweifelt die Verhältnismäßigkeit des GDL-Streiks: Es sei Verpflichtung der GDL, nicht Maß und Mitte aus den Augen zu verlieren, wird die SPD-Bundestagsabgeordnete in der Frankfurter Rundschau zitiert. "Ein sechstägiger Streik ohne vorherige direkte Verhandlungen über das neue Angebot der Deutschen Bahn wirft viele Fragen auf und trifft Millionen von Pendlerinnen und Pendlern mit unverhältnismäßig großer Härte." Bahnstreik unverhältnismäßig?
Verfassungsrechtlich abgeleitet wird das Recht, per Streik Zugeständnisse von einem Arbeitgeberverband oder dem Arbeitgeber zu erwirken, aus Art.9 Abs.3 Grundgesetz (GG). Ohne den potenziellen Druck eines Arbeitskampfes in der Hinterhand, würde die darin enthaltene Streikfreiheit leerlaufen. Allerdings: Gesetzliche Regeln, was und in welchem Umfang genau erlaubt ist, existieren nicht. Vieles wurde bislang von der Rechtsprechung, namentlich vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) konkretisiert. Beispiele dafür sind etwa die Anerkennung von Streikmaßnahmen wie das Recht zur Durchführung von Streiks auf einem Firmenparkplatz von Amazon oder die Zulässigkeit streikbegleitender Flashmob-Aktionen.
Ob ein Streik unverhältnismäßig ist, lässt sich nicht immer leicht beurteilen. Einig ist man sich insoweit nur, dass die Hürden wegen des Grundrechts aus Art. 9 GG hoch sind. Unverhältnismäßig wäre ein Streik z. B. dann, wenn dem Unternehmen dadurch das Aus droht. Bezogen auf den aktuellen Bahnstreik hieße das: Auch wenn dieser vielen (auch Dritten) weh tut, so ist die Existenz des Unternehmens Bahn durch den Streik nicht gefährdet. Zumal der geschätzte Schaden, den das IW-Institut auf 100 Millionen am Tag beziffert, nicht allein das Verkehrsunternehmen betrifft.
Connemann und die MIT sehen deshalb auch hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit in einem künftigen "Streikgesetz" Regelungsbedarf. Den Arbeitsgerichten sollen in so einem Gesetz konkrete Vorgaben dahingehend gemacht werden. "Die Beurteilung unverhältnismäßiger Streiks soll durch gesetzliche Regelbeispiele klarer gefasst werden", heißt es im MIT-Beschluss vom vergangenen November. "Klarer gefasst" heißt indes nichts anderes, als dass sich für die Gerichte bei der Frage der Verhältnismäßigkeit der Beurteilungsspielraum verengen würde, da sie sich an den Beispielen zu orientieren hätten. Die Mittelstandsunion sieht diese Gefahr jedoch nicht: "Die Regelbeispieltechnik belässt den Arbeitsgerichten den Spielraum für eine verhältnismäßige Anwendung im Einzelfall. Die Regelung ist also lediglich eine maßvolle Kodifizierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes." Arbeitsrechtler: "Regeln für Streik verfassungsrechtlich möglich"
Müsste angesichts dieser Gemengelage nun also der Gesetzgeber eingreifen und für bestimmte Branchen und die dortigen Gewerkschaften die Hürden für einen Streik höher setzen als für andere? Oder steht so einer Ungleichbehandlung das GG entgegen?
Die Gießener Arbeitsrechtlerin Prof. Dr. Lena Rudkowski, deren Spezialgebiet u.a. der Arbeitskampf ist, hält den Vorstoß aus der Union verfassungsrechtlich nicht für bedenklich: "Aus verfassungsrechtlicher Sicht können zum Schutz der Rechte Dritter Arbeitskämpfe in lebenswichtigen Betrieben reguliert werden", so Rudkowski im Gespräch mit LTO. "Ein solches Gesetz müsste bestimmte Grenzen einhalten, z. B. wäre eine Zwangsschlichtung auch in der Daseinsvorsorge mit Art. 9 Abs. 3 GG nicht vereinbar. Grundsätzlich wäre ein Gesetz zum Arbeitskampf in der Daseinsvorsorge aber möglich."
Ähnlich sieht es auch Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. Er verweist darauf, dass das BVerfG schon heute mangels gesetzlicher Regelung in vielen Fällen angerufen werde, um die Grenzen des Streikrechts zu definieren. "Ein gesetzlich genau definiertes Streikrecht im Sinne eines Arbeitskampfgesetzes könnte helfen, für beide Seiten die zulässigen Arbeitskampfmaßnahmen deutlicher zu regeln und Rechtsunsicherheiten zu vermeiden", meint Fuhlrott.
Auch eine Differenzierung zwischen kritischer Infrastruktur und den übrigen Betrieben wäre seiner Meinung nach möglich. "Bereits derzeit sind Gewerkschaften verpflichtet, bei Streikaufrufen im Bereich kritischer Infrastruktur und der Daseinsvorsorge Notmaßnahmen vorzusehen und hierauf bei der Durchführung von Streiks Rücksicht zu nehmen. Insoweit gibt es bereits eine von der Rechtsprechung anerkannte Ausnahme für bestimmte Bereiche, die man gesetzlich noch weiter schärfen könnte." BMAS: "Keine gesetzliche Regelung geplant"
Juristisch könnte man das Streikrecht also begrenzen. Aber ist es auch politisch gewollt?
Offen für den Vorschlag aus der Union zeigt sich aus den Reihen der Ampel lediglich die FDP-Bundestagsfraktion. "Wir haben in Deutschland kein Gesetz, das das Streikrecht konkret regelt, es gibt nur verschiedene Gerichtsurteile, ohne die eindeutige Festlegung von Regelungen. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf aktuelle Beispiele von Streiks, die die Allgemeinheit in immer neuem Ausmaß beeinträchtigen, ist es sinnvoll zu diskutieren und zu prüfen, ob die Einhaltung von Verhältnismäßigkeit besonders im Bereich der kritischen Infrastruktur durch gesetzliche Vorgaben sichergestellt werden sollte", sagt der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der FDP-Fraktion Pascal Kober. Das schließe auch mögliche Vorschläge wie ein verpflichtendes vorgeschaltetes Schlichtungsverfahren oder Vorankündigungen ein.
Beim federführenden Ministerium sowie SPD und Grünen dürfte die FDP damit jedoch nicht durchdringen. Auf Nachfrage erklärt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS), dass im Sinne des Vorschlages aus der CDU keine gesetzliche Regelung geplant sei und auch kein Bedarf gesehen werde: "Die entlang des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes entwickelte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Arbeitskampfmaßnahmen hat sich in der Praxis grundsätzlich bewährt, was sich auch in den im internationalen Vergleich geringen streikbedingten Arbeitsausfällen zeigt." FDP offen, SPD und Grüne dagegen
Auch der arbeitsmarkt- und sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Martin Rosemann, lässt wenig Sympathie für eine Aufweichung des Streikrechts erkennen. "Allein eine solche Forderung in den Raum zu stellen, zeige erneut, dass die CDU unter Merz die Interessen von Arbeitnehmerinnen und -arbeitnehmern nicht schützen, sondern beschneiden möchte", kritisiert er. "Gerade die Mitarbeitenden in der kritischen Infrastruktur halten unser Land jeden Tag am Laufen." Sie in ihrem Kampf um bessere Arbeitsbedingungen einschränken zu wollen, zeuge von mangelndem Respekt vor dieser hart arbeitenden Bevölkerungsschicht, so Rosemann zu LTO.
Beate Müller-Gemmeke, Berichterstatterin für Arbeitnehmerrechte und aktive Arbeitsmarktpolitik in der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, kann dem Unionsvorstoß ebenfalls nichts abgewinnen. Das Streikrecht sei ein wichtiges Instrument, damit Gewerkschaften auf Augenhöhe mit den Arbeitgeberverbänden Tarifverhandlungen führen können, sagt sie. Das gelte auch für den Bereich der kritischen Infrastruktur. Im Übrigen gebe es "ausreichend gerichtliche Kontrollinstanzen, die unverhältnismäßige Streiks unterbinden können".
Erwartungsgemäß ablehnend reagieren die Gewerkschaften auf die Idee, für einige Branchen das Streikrecht zu schleifen. "Das Streikrecht darf nicht reguliert werden. Eine Einschränkung des Streikrechts würde bedeuten, Beschäftigten ihre Grundrechte zu verwehren", heißt es etwa von der Industriegewerkschaft IGBCE. Zudem sei ein Streik für Gewerkschaften immer das letzte Mittel, um berechtigte Forderungen durchzusetzen. Als besonders streikfreudig gilt die IGBCE im Vergleich zu anderen Gewerkschaften nicht.
Das reimt sich aber gar nicht mit "die selben wie immer".
Wer macht alles schlimmer?
Und wer war mit dabei?
FDP bremst wie Blei.